Bis zur Veröffentlichung meines neuen Romans Tochter des Flusses dauert es noch einen Moment. Für alle ungeduldig Wartenden hier ein kleines „Appetithäppchen“: der erste Kuss zwischen Jargo und Leana – unter recht widrigen Umständen …
Leanas Blick schweifte über den Burghof. Wo konnte sie sich verstecken? An einem Ort, der Schutz bot und ihr gleichzeitig erlaubte, alles im Auge zu behalten. Sie trat aus der Ecke heraus, um besser sehen zu können. Auf der Wehrmauer war es nicht schlecht oder, noch besser, im Pferdestall. Von dort aus könnte sie das Zolltor beobachten.
Ein Schatten tauchte neben ihr auf. Ehe sie reagieren konnte, legte sich eine Hand über ihren Mund. Ein Arm umschlang ihren Oberkörper und zog sie mit sich. Im nächsten Moment fand sie sich vor dem Brückentor wieder, wo ihre Handgelenke mit Gewalt gegen das Holz gedrückt wurden.
»Was wollt Ihr hier?«, zischte Jargo. Wasser lief aus seinem Haar und die tödlichen Spitzen seines Dreizacks ragten über seiner Schulter empor. Er musste sie gesehen haben und war außen um die Burg herumgeschwommen.
»Ich wollte mich bei dir bedanken, weil du Melans Leben geschont hast«, keuchte sie.
»Das habt Ihr hiermit getan.« In Jargos Gesicht war keine Spur von Freundlichkeit zu entdecken.
»Ich wollte mich auch für mein Verhalten entschuldigen«, erklärte sie hastig.
Seine Miene verfinsterte sich weiter. »Weil Ihr Altan vor das Burgtor geschickt habt, um mir Gesprächsbereitschaft vorzugaukeln?«
»Nein, das habe ich nicht!« Wie konnte sie ihn nur überzeugen? »Auf dem Steg hast du mir gesagt, du willst mit mir reden. Das will ich jetzt auch.«
»Nachdem Ihr gestern lieber gestorben wärt, als das zu tun?«, höhnte er. »Egal, was Ihr mir erzählt, Nahn, ich glaube Euch nicht mehr. Nachdem Melan versagt hat, mich zu töten, schickt Altan nun Euch, es hinterrücks zu tun.«
Sie starrte ihn an. »Nein! Ich schwöre bei den Göttern …«
»Still!« Er ließ einen ihrer Arme los, drückte erneut eine Hand auf ihren Mund und drängte sie mit seinem nassen und warmen Körper dicht an das Tor.
Jetzt hörte auch Leana die Stimmen, allen voran eine weibliche, die Jargos Namen rief. Estya. Und dann war da noch ein Geräusch. Ein gleichmäßiges Platschen, das sich schnell näherte. Leana spürte, wie Jargos Muskeln sich anspannten und sich tiefe Furchen in seine Stirn gruben. Was immer auf die Wasserburg zukam, es konnte nichts Gutes sein.
»Ihr habt verdammtes Glück, dass ich nicht die verschlagene Kreatur bin, für die mich Altan hält«, stieß Jargo hervor, »sonst stände Euer Tod gleich bevor. So nehme ich mir nur, was ich schon länger will.« Er zog seine Hand von ihrem Mund, nur um diesen sogleich mit seinen Lippen zu verschließen.
Leana bäumte sich auf, doch gegen Jargos Kraft kam sie nicht an. Seine muskulösen Arme umschlossen sie und zogen sie an ihn. Die Wildheit und Leidenschaft seines Kusses nahmen ihr fast den Atem. Ein solch starkes Verlangen hatte sie bei Melan nie gespürt – und auch bei sich nicht. Gegen ihren Willen weckte Jargos Begehren ihr eigenes. Sie nahm seinen Duft nach Wasser und Sonne wahr, die Sanftheit seiner Lippen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und ihr Widerstand schmolz dahin. Ehe sie es verhindern konnte, öffnete sich ihr Mund und sie erwiderte seinen Kuss.
Jargo stöhnte auf und trat ruckartig von ihr fort.
Bedauern war das Erste, das sie fühlte. Erschrocken über sich selbst schüttelte sie den Kopf und starrte Jargo an. In seinen Augen spiegelte sich ebenfalls Unglaube über das gerade Geschehene.
»Lauft«, stieß er mit rauer Stimme hervor. »Lauft um Euer Leben, Leana.«